19.08.2016  Von   Nicole Huber

Leben wir zu schnell?

Schnell… schneller – wir haben doch keine Zeit! Nicole Huber schreibt im Zalvus Journal über ein Thema, dass uns alle beschäftigt: die Schnelligkeit des Lebens.

Noch mehr Bequemlichkeit und noch mehr Zeit sparen - jede neue Technologie wird mit einem Ziel entwickelt, den Usern das Leben noch mehr zu erleichtern. Nur wenige Menschen würden bestreiten, dass mit der Erfindung des Staubsaugers und der Waschmaschine gewaltige und bahnbrechende Vorteile im Haushalt entstanden sind. Die Energie- und Zeitersparnis ist enorm – sind die Aufgaben noch so trivial. Auch die beschleunigte Luftfahrt hat einiges dazu beigetragen, die Welt zu verbinden. So ist es heute viel einfacher die Menschen innerhalb eines Tages auf das andere Ende der Welt zu befördern. Mit wenig Aufwand und mittels Spracheingabe kann man über das Telefon schnell lassen sich Dinge erledigen oder recherchieren. Die Eingabe eines einzigen Wortes reicht oftmals schon aus.


Die höchste Priorität scheint die Reduzierung der Zeit zu sein, nicht nur unter den Entwicklern und Ingenieuren neuester Technologien, sondern auch für normale durchschnittliche Menschen, die ihren Lebensstil auf der Basis der Effizienz aufbauen. Nehmen wir das Silicon Valley: die Drehscheibe für internationale Unternehmen, Start-ups und weltbekannte Firmen haben hier ihren Sitz. Die Workaholic-Kultur mit ihrem ewigen Druck auf Übererfüllung entwickelt ihre Lebensstiltendenzen in Richtung Zeitminimierung, mit dem Ziel die Produktivität zu steigern. Um die geistige Gesundheit zu fördern, sind Aktivitäten sehr wichtig, sie sind von großer Bedeutung wenn es darum geht unsere körperliche Gesundheit durch Essen und Schlafen zu fördern. Doch ist die Obsession Aufgaben zu beschleunigen ein richtiger Ansatz, oder schadet sie uns nur mehr als sie uns nützt?


Das Startup-Unternehmen Soylent vertreibt ein neues Fertiggericht um Mahlzeiten zu ersetzen. Eine Flüssigmahlzeit, die alle wichtigen Nährstoffe enthalten soll, das Völlegefühl soll genauso schnell einsetzen wie bei einer normalen Mahlzeit – der Vorteil: man spart sich ungemein viel Zeit. Es wird nur ein Fünftel der Zeit in Anspruch genommen. Es gibt keine Notwendigkeiten mehr in den Supermarkt zu gehen, stundenlang in der Küche zu stehen und mühselig irgendwelche Rezepte nach zu kochen. Man kann stattdessen den Proteinshake gemütlich von zuhause vorbereiten und muss sich nicht bei einer Imbissbude in die Warteschlange stellen. Abendessen mit Freunden und Familie, das wohl zeitaufwendigste aller Treffen. Dies stellt eigentlich eine ideale Lösung für ehrgeizige junge Menschen dar, die ihre Zeit für die Arbeit maximieren wollen. Aber um welchen Preis? Ist es den Aufwand wirklich wert?


Immerhin gibt es einen guten Grund für Mittagspausen, sie sind nicht nur dazu da um den Hunger zu stillen, sondern auch um eine Pause von der Arbeit einzulegen und den Kopf frei zu bekommen. Neue Energien sollen während der Pause getankt werden. Man könnte annehmen, es wäre für die Karriere förderlich, wenn man seine gesamte Zeit in der Arbeit verbringt und auf jegliche Pausen verzichtet. Aus der Sicht der Produktivität sieht das aber ganz anders aus. Es gibt hier klare Grenzen:



Wenn das Gehirn täglich 8-Stunden arbeiten muss und die Pausen immer wieder übersprungen werden, machen sich Müdigkeit und Burnout schnell breit



und wir würden es nicht einmal bemerken. Dann wacht man eines Tages auf und plötzlich fehlen einem jeglicher Elan und die Freunde fürs Arbeiten. Deshalb ist es empfehlenswert die Mittagspausen richtig zu nutzen.


Wir haben keine Zeit zu Essen, weil wir zu sehr gestresst sind, das ist ein bekanntes Problem. Entweder wir verzichten gänzlich auf eine Mahlzeit und hungern, oder wir holen uns schnell etwas beim nächsten take-away. Nichts davon ist optimal. So viel Zeit wir auch in die Arbeit investieren, so kommt es ironischerweise zu entgegengesetzten Ergebnissen. Müdigkeit verringert die geistige Leistungsfähigkeit. Alle Untersuchungen von Neurowissenschaften zu Wirtschaftsdaten zeigen, dass Mehrarbeit wirklich nicht die besten Ergebnisse produziert. Arbeitet man mehr als 50 Stunden pro Woche, beginnt auch die Produktivität zu sinken. Die meisten Menschen werden tatsächlich produktiver, wenn sie weniger arbeiten – verlieren aber definitiv an Kreativität und Innovation, wenn sie zu viel arbeiten, weil sie müde werden. Bei den meisten Menschen wird Konzentrationsfähigkeit und das Energieniveau beeinträchtigt, dies kann eine Folge von zu wenig Schlaf sein. Wenn überanstrengte Mitarbeiter zu einer späteren Stunde zu Bett gehen und dann nicht bis in die frühen Morgenstunden schlafen. Wenige Stunden später zum Sport gehen, oder besonders früh aufstehen, um noch eine Runde zu joggen, bevor die Arbeit losgeht. Oder früher ins Büro fahren, um schon mal die Emails zu checken.



Schlaf ist für die Schwachen



Diese Haltung unter den Berufstätigen beschreibt Arianna Huffington als bestürzend und dass der verbreitete Schlafentzug der Welt eine „Gesundheitskrise“ auslösen wird. In ihrem Buch "The Sleep-Revolution", behauptet Huffington, dass mehr Schlaf und weniger Arbeit, der Schlüssel zu einem erfolgreicheren und erfüllten Leben ist. Das allgemeine Wohlbefinden inmitten eines beschleunigten Lebensstils kann erfolgreich sein. Seit Instant Messaging sprechen die Menschen deutlich weniger von Angesicht zu Angesicht als noch vor ein paar Jahren. Während man ständig online mit seinen Bekannten chattet (was auch eine Reihe von Vorteilen mit sich bringt), wird der persönliche Kommunikationsaustausch immer mehr vernachlässigt. Schüchterne, introvertierte Menschen die sich oft in Situationen unter Zeitdruck befinden, können dies bezeugen. Eine Studie an der Stanford University belegt, dass Jugendliche meist an Depressionen leiden, wenn sie häufig Instant Messaging verwenden. 


In der Online-Kommunikation liegt eine Leichtigkeit, diese kann aber zu schwächere sozialen Bindungen führen, weil die Menschen immer weniger Grund haben, ihre Wohnungen zu verlassen und persönlich miteinander zu sprechen. Darüber hinaus fällt das interagieren von Körpersprache und Intonation völlig weg und das häufige Nutzen von Instant Messaging, kann bedeuten, dass man mit der Entwicklung grundlegender sozialer Fähigkeiten zu kämpfen hat.


Das bringt uns zum Thema Speed-Dating, ein bizarres Konzept für die einen, ein logisches für die anderen. Speed-Dating verzichtet auf eine großartig entwickelte Technologie und war in den 90ern eine gängige Methode um jemanden kennenzulernen. Diese wurde durch die heutigen, mobilen Möglichkeiten und Anwendungen jedoch ersetzt. Auf dem gleichen Konzept, der beschleunigten Entwicklung von Beziehungen, basieren die heutigen Dating-Apps, wie beispielsweise Tinder. Ein kurzer Swipe in beide Richtungen lassen einen User mit einem anderen, den sie attraktiv finden „matchen“ (basierend auf bis zu fünf Bildern und einer kurzen Beschreibung), während der Rest vernachlässigt wird. Sobald es eine Übereinstimmung zweier User gibt, kann ein privates Gespräch in einem Chat stattfinden. Die App und die Art der Anwendung geben den Benutzern klare Erwartungen über eine mögliche Romanze. Im Schnitt tauschen User Nachrichten von einer Stunde bis zu einer Woche aus, bevor es zu einem Treffen kommt. Obwohl die App von vielen als vereinfacht, bequem und unkompliziert gefeiert wird, bedeutet es für vielbeschäftigte Menschen die Möglichkeit schnell romantische Verbindungen zu knüpfen, andere sind besorgt, dass sich diese Straight-to-Dating-Kultur durchsetzt und normalisiert.


Apps wie Tinder zielen darauf ab, den Aufbau von Beziehungen anzukurbeln, es gibt keine grundlegenden, psychologischen und emotionalen Schritte. Nutzer haben kaum Zeit den „Match“ außerhalb des Bereichs der romantischen Erwartungen kennenzulernen und es ist daher schwer die romantische Verbindung zu einer bereits bestehenden Freundschaft zu knüpfen und eine Bindung herzustellen. Für viele Menschen stellt dies vielleicht kein Problem dar, andere aber sehen das schnelle Dating weniger als erfüllende Erfahrung. Es wird eher als unbefriedigendes und nicht aufrichtiges Erlebnis betrachtet.


Auch unsere Freizeit reduziert sich aufgrund der Arbeit. Menschen entscheiden sich für schnelle Kraftübungen, im Gegensatz zu Ausdauertrainings, versuchen so viele Kalorien wie möglich in kurzer Zeit zu verbrennen, anstatt sie zum Vergnügen auszuüben. Im Internet findet man viele Anleitungen, wie man in nur fünf Minuten meditiert. Auf Online-Plattformen gibt es viele Möglichkeiten für die Spieler "Speed Poker" zu spielen, da gibt es eine zeitliche Begrenzung für die Entscheidungsfindung und man muss ein Spiel in nur 15 Minuten beenden. Auch Speed-Schach und Speed-Scrabble erfreuen sich großer Beliebtheit. Machen diese schnellen Spiele wirklich den gleichen Spaß, wie wenn man eine Stunde Einsatz investieren würde?


Im Leben hat man nur begrenzt Zeit, man sollte sie manchmal mit Dingen verbringen, die einem am Herzen liegen. 10 Minuten pro Tag die man für sich hat, ohne Ablenkung. Zeit wird oft mit einer Kürzung der Entspannung und dem Genuss verwechselt. Wie Marthe Troly-Curtin einmal gesagt hat:



Zeit, die du mit Genuss verschwendest, ist keine verschwendete Zeit.


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